Sarah Wiebold

24. Februar 2021

6 Min. Lesedauer

We are not Silicon Anything!

Corona verändert Strukturen. Wie wir arbeiten, wie wir leben und in den USA jüngst auch wo Menschen gerne leben wollen.

Ich selbst bemerkte im Frühsommer 2020 das bis dato Undenkbare: Die suburbs (!) wurden sexy. New Yorker Familien kamen in Scharen aus der coronagebeutelten City auf der Suche nach mehr Platz, der Möglichkeit sich zu isolieren und vergleichsweise niedrigen Immobilienpreisen. Diese reagierten selbstverständlich umgehend, so wurden Einfamilienhäuser am Wasser zu einer Monatsmiete von 40.000 Dollar vermittelt – Freiheit hat seinen Preis.

We are not Silicon Anything!

Aber nicht nur die Pandemie minderte die Attraktivität der Megametropolen. Unternehmer:innen, Gründer:innen und Investor:innen fühlen sich seit Jahren nicht ausreichend wertgeschätzt. Es herrsche schon lange kein „business-friendly mindset“ mehr. Zu hohe Steuern und zu viele Restriktionen widersprechen der amerikanischen Haltung zum obersten Gebot der freien Wirtschaft.

 

Zunächst langsam, dann immer schneller beschlossen vor allem Menschen mit grenzenlosen Möglichkeiten die Epizentren von Technologie, Macht und Geld zu verlassen. Auf einmal wurde ein Garten für den neuen Welpen, Platz für den Hometrainer oder der Kaffee aus der eigenen Siebträgermaschine erstrebenswerter. Stundenlanges Programmieren im Sitzsack während des niemals abreißenden „Klack-Klack“ des Ping-Pong Spiels der workmates dagegen: eine Welt der Vergangenheit. Orte, die ein leichteres, langsameres Leben versprechen, gewannen rasant an Attraktivität.  Eine erste Welle führte nach Austin, Texas, allen voran Elon Musk, der dem Wall Street Journal mitteilte "For myself, yes, I have moved to Texas".

 

Ende 2020 aber, fast über Nacht, schienen Techies, Wall Street Titanen und Medienmogule kollektiv eine Entscheidung getroffen zu haben. Auf einmal hörte man nur noch „Miami“. Als Initialzündung gilt ein Tweet von Anfang Dezember: „ok guys hear me out, what if we move silicon valley to miami”. Darauf antwortete Miamis Bürgermeister Francis Suarez nur mit „How can I help“. Der Tweet ging viral und wurde Symbol für das, was heute bereits als „Techxodus“ betitelt wird.

 

Zahlreiche Größen des Silicon Valleys und New Yorks haben sich seitdem in Miami niedergelassen, darunter Paypal Co-Founder und Investor Keith Rabois, Peter Thiel oder Shutterstock Gründer Jon Oringer. Unternehmen wie Blackstone und Goldman Sachs gründeten Niederlassungen oder haben diese in Planung. Es folgten viele mehr. Vor allem auch Investoren, die die nächste florierende Start-Up Szene im Auge haben. Suarez, übrigens einer der ersten führenden US Politiker, der sich mit dem Coronavirus infizierte, empfängt die Finanz- und Gründerwelt mit offenen Armen, vernetzt Neuankömmlinge via Twitter und nutzt die mediale Aufmerksamkeit für Seitenhiebe gegen New York und San Francisco. „Your money goes to a government that doesn’t want you.“

 

Die Gründe sich in Miami niederzulassen liegen auf der Hand: Sonne, niedrige Steuern und aktuell auch:  deutlich lockerere Vorschriften im Lockdown. Wer es sich leisten kann, bewegt sich in einer exklusiven Blase dessen Mitglieder sich regelmäßig testen lassen und lang entbehrte Freiheiten zurückerhalten. Selbst in den USA allerdings ein sensibles Thema.

 

Die Bundestaaten an Ost- und Westküste, die wie ein verlassener Ehemann am Altar nun ohne ihre Millionär:innen und entsprechende Steuereinnahmen dastehen, schlagen zurück. Wer nicht nachweisen kann, dass er mehr als 50% außerhalb seines letzten Heimatstaates verbracht hat, soll umgehend nachbesteuert werden. Somit zieht eine graue Wolke am perfekt klaren Floridahimmel auf – vor allem wenn man bedenkt, dass in Miamis Sommer die Highheels im siedenden Asphalt versinken. Ein Sommer in den Hamptons wird also zukünftig gut geplant werden müssen. Letzten Endes aber nichts, das sich nicht lösen ließe.

 

Miami bietet darüber hinaus eine Internationalität und gelebte Diversität wie sie anderswo kaum zu finden sind. Zudem eine etablierte und weiterhin wachsende Kulturszene. Top Restaurants verfügen über etwas, das in New York und San Francisco immer noch eine Rarität ist: outdoor dining. Ein Grund, warum jetzt auch Gastronomen von der Ost- und Westküste nach Miami übersiedeln. Die strategische Erreichbarkeit ist extrem gut, der moderne Flughafen nur 15 Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Wer jemals zur Rush Hour in EWR gelandet ist, weiß wovon ich spreche. Außerdem gelingt in der magic city scheinbar das Unmögliche: Demokraten und Republikaner leben in relativer Einträchtigkeit miteinander.

 

Noch ist unklar, ob es sich bei Miamis Aufstieg zum place-to-be eher um eine Momentaufnahme oder eine echte Bewegung handelt. Suarez will Miami zur Tech City der glorreichen 20er Jahre machen, zum nächsten Startup-Hotspot. Die neuen Bewohner ändern ihren Wohnsitz, lernen spanisch und gründen Buchclubs.

 

Doch der Techxodus birgt auch Gefahren, die alteingesessene Unternehmensführer:innen von vorneherein abwenden wollen. Die klare Botschaft: We are not Silicon Anything! Dafür haben sich eben diese führenden Persönlichkeiten zusammengetan und mit #miamitech ein Manifest entwickelt, das neuankommenden Gründern:innen, Investor:innen und Business Leadern als Leitfaden dienen soll. Enthalten sind die Vision, Werte und Grundsätze, die erhalten bleiben sollen. Ein spannender Punkt: „We are women led“. In Miami stehen im Vergleich auffallend viele Frauen an der Spitze von Unternehmen, die in alter Silicon Valley Tradition im Rest von Amerika von Männern geführt werden. Eine „bro-culture“ in Miami mit exklusiven Zirkeln, die Frauen nicht zugänglich sind, soll auch in Zukunft mit aller Macht verhindert werden.

 

Final soll Miami besser werden. Damit nicht nur Sonne und Fiskalpolitik langfristig Talente anzieht. Sondern der Ruf als globale Drehscheibe für Technologie und Unternehmertum. Ein neuer Zeitgeist.  

Über die Autorin:

Als erstes die Vision, dann der Weg. Die Hamburgerin Sarah Wiebold war zehn Jahre Geschäftsführerin im familieneigenen Unternehmen. Anfang 2019 entschied sie sich mit ihrer Familie in die USA auszuwandern.

Mit Blick auf New York lernt sie nicht nur Land und Leute zu verstehen, sondern verwirklicht ihren Traum in Amerika ein Unternehmen zu gründen. Mit ihrer Chocolaterie Little Lotta Love will sie den US-Markt von europäischer Confiserie Kunst begeistern. Bei uns und auf ihrem Instagram Account ahoi.newyork schreibt sie über Traum und Wirklichkeit sowie Leben und Unternehmensgründung als Deutsche in Amerika.

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