Kristina Kreisel

13. Januar 2025

8 Min. Lesedauer

"Führungskräfte sorgen dafür, dass mentale Gesundheit besprechbar wird"

Mental gesünder leben – das nehmen sich Millionen Menschen für 2025 vor. Welche Rolle Führungskräfte dabei spielen, wie sie ihre Teams in Krisensituationen unterstützen können und warum es laut Psychotherapeutin Dr. Eva Elisa Schneider dennoch nicht darum geht, “Wohlfühltempel” zu kreieren.
"Führungskräfte sorgen dafür, dass mentale Gesundheit besprechbar wird"
"Es macht einen Unterschied, wenn eine Führungskraft offen erzählt, dass sie Wert auf Zeit mit der Familie legt und pünktlich Feierabend macht", sagt Dr. Eva Elisa Schneider | Foto: Coba Uys

Viele Neujahrsvorsätze implizieren mehr Achtsamkeit für mentale Themen. Inwiefern betrifft das auch die Wirtschaft und Führungskräfte, Eva?

 

Dr. Eva Elisa Schneider: Fast ein Drittel der Menschen ist jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das macht natürlich auch vor der Arbeitswelt keinen Halt. Dabei müssen Führungskräfte und das Team weder zum Wohlfühltempel noch zur Therapiestation werden. Den meisten Menschen geht es lediglich darum, sich mit ihrer mentalen Gesundheit nicht verstecken zu müssen. Wo keine Angst herrscht, sind Mitarbeitende innovativer, produktiver und engagierter. Oft ist schon ein kleiner Check-in hilfreich, zum Beispiel zu Beginn des Teammeetings, bei dem wir sagen können: “Bei mir ist aktuell viel los. Ich möchte nur, dass ihr wisst, warum ich so kurz angebunden bin”.

 

Einführen müssen solche Rituale in der Regel Führungskräfte. Welchen Einfluss haben sie generell auf die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden? 

 

Führungskräfte können sehr großen Einfluss haben, weil ihnen zwei entscheidende Hebel zur Verfügung stehen: Zum einen können sie sich bei relevanten Entscheider:innen für Personal, Zeit und Geld stark machen, um das Thema strukturell im Unternehmen zu verankern. Zum anderen können die mentale Gesundheit direkt in ihrem Team fördern. 

 

Wie können sie konkret unterstützen?

 

Erstens sind Führungskräfte Vorbilder, wenn es um die Gestaltung von Arbeit und Leben geht. Es macht einen großen Unterschied, wenn eine Führungskraft offen erzählt, dass sie Wert auf Zeit mit der Familie legt und deshalb pünktlich Feierabend macht. Dieses Work-Life-Leadership ermutigt andere, ebenfalls nach gesunden Maßstäben zu handeln.

 

Zweitens können sie Belastungen bei Mitarbeitenden frühzeitig erkennen und empathisch ansprechen. Dabei sind sie entscheidende Gate Keeper, um die richtigen Unterstützungsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Drittens sorgen Führungskräfte durch Selbstöffnung dafür, dass mentale Gesundheit besprechbar wird.

 

| Foto: Coba Uys

Was meinst Du mit "besprechbar"?

 

Wenn die Führungskraft ihrem Team zum Beispiel erzählt, dass sie mal eine schwierige Phase hatte und daraufhin das externe psychologische Beratungsangebot des Unternehmens genutzt hat, fühlen sich Mitarbeitende ermutigt, ebenfalls Support in Anspruch zu nehmen. Dieses Soziale Okay hilft, mentale Gesundheit und Hilfsangebote zu normalisieren.

 

Welche Anzeichen für eine akute mentale Überlastung, bei der externe Unterstützung helfen kann, sollte jede Führungskraft kennen?

 

Oft erkennt man Überlastung daran, dass jemand Pausen auslässt, auffallend weniger Redebeiträge hat, abgeschlagen erscheint oder deutlich seltener ins Büro kommt. Bei Aussagen wie “Ist schon viel, aber passt schon” sollte man auch hellhörig werden. Dann ist es wichtig, proaktiv zu handeln und ein vertrauensvolles Gespräch zu suchen.

 

Wie können Führungskräfte ein solches Gespräch eröffnen? Kannst Du ein Beispiel geben?

 

Man sollte seine Beobachtungen in einer geschützten Atmosphäre schildern und um offene Rückmeldung bitten, zum Beispiel indem man sagt: “Mir ist aufgefallen, dass Du in den letzten vier Wochen sehr oft abends um 22 Uhr noch E-Mails verschickt hat. Das kenne ich so nicht von Dir. Ich mache mir Sorgen. Kannst Du mir helfen, das einzuordnen?”.

 

Während des Gesprächs sollte man darauf achten, nicht sofort Lösungen vorzuschlagen, sondern die betreffende Person frei von ihrer Situation berichten zu lassen, um Vertrauen herzustellen. Anschließend kann über Optionen gesprochen werden, wie beispielsweise eine Repriorisierung von Aufgaben, erhöhte Flexibilität oder die Einbindung externer Hilfestellen. Viele Mitarbeitende wissen gar nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, sodass die Führungskraft hier einen entscheidenden Beitrag leisten kann.

 

Damit es möglichst gar nicht so weit kommt: Welche Methoden sind präventiv sinnvoll?

 

Am wirksamsten ist es, das Stresslevel niedrig oder moderat zu halten. Typischerweise geraten wir ab 80 Prozent Auslastung in einen Strudel, in dem wir unsere Gesundheit schweifen lassen, auf Schlaf verzichten und Regeneration hintenanstellen. Im Team sollten Führungskräfte daher das Stresslevel regelmäßig erfragen, zum Beispiel mithilfe von Metaphern wie Ampelfarben oder einem Akkuladestand.

 

Außerdem hilft es, sich selbst offen zu zeigen und dadurch andere zu ermutigen, sich frühzeitig zu melden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, gesundheitsbewusstes Verhalten zu incentivieren. Sprich: Führungskräfte können Teammitglieder beispielsweise dafür loben, wenn sie Pausenzeiten einhalten oder im Urlaub nicht arbeiten. Denn gesunde Führung bedeutet, Leistung und Gesundheit gleichermaßen zu bestärken.

 

 

Zur Person

Dr. Eva Elisa Schneider (34) ist promovierte Psychotherapeutin, Psychologin und eine der führenden Speaker:innen zum Thema "Mentale Gesundheit" im deutschsprachigen Raum. Regelmäßig spricht sie auf Bühnen und Panels darüber, wie Menschen in der modernen Arbeitswelt nicht ausbrennen, wie zuletzt etwa beim "STRIVE x Rethink – The Female Health Forum powered by Garmin und Merrell". Im Oktober erschien ihr Buch "Mental health matters".

 

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