Fast jede:r vierte Arbeitnehmer:in steht kurz vor dem Burnout, laut einer Studie des auf Mitarbeiter:innenbefragungen spezialisierten Unternehmens Peakon. Frauen sind mit 27 Prozent dabei besonders betroffen. Warum ist das so?
Christine Münch
01. Februar 2022
Diagnose Burn-out: Warum wir nicht entspannen können
Die Ansprüche von außen steigen. Enge Deadlines. Lange To-Do Listen. E-Mails, die mit TOP URGENT oder ASAP in der Betreffzeile den Ton angeben. Gleichzeitig steigende Erwartungen an uns selbst. Ein Job, der uns erfüllt. Die perfekte Morgenroutine. Täglich Sport. Gesundes Essen. Quality Time mit den Freund:innen und eine Engelsgeduld als Eltern.
Wir haben das Gefühl, wenn wir uns selbst nur gut genug managen – unsere Zeit, unsere Gedanken, unsere Gefühle – dann können wir alles erreichen, alles unter einen Hut bringen und uns dabei immer gut fühlen. Wenn das nicht klappt und wir mal einen schlechten Tag haben, dann liegt es an uns selbst. Wir haben etwas nicht richtig gemacht, uns selbst nicht genug optimiert. Diese hohen Erwartungen an uns selbst, häufig gepaart mit einer kritischen inneren Stimme, setzen uns zusätzlich unter Druck.
Nach der Geburt meines Sohnes habe ich es selbst erlebt. Das Gefühl nicht zu wissen, wer ich ohne Arbeit bin, wurde mir während meiner Elternzeit erschreckend bewusst. Auf einmal bekam ich keine Anerkennung mehr für meine Leistung. Keiner da, der mir täglich sagte, ich mache einen tollen Job. Stattdessen gab es volle Windeln, schlaflose Nächte, und das Gefühl, als Mutter zu versagen, weil es mit dem Stillen nicht klappte.
Anstatt mich mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, tat ich, was ich gut kann. Nach vier Monaten stürzte ich mich in die Arbeit, stellte zwei Praktikantinnen ein, startete meinen Podcast und begann, eine Online-Community aufzubauen. Während mein Sohn schlief, setzte ich mich an meinen Laptop, anstatt den wichtigsten Hebammen-Tipp zu befolgen: „Schlaf, wenn dein Kind schläft”. Dafür hatte ich keine Zeit. Ich war zu beschäftigt, damit nicht zu fühlen, was wirklich in mir los war.
Die Sucht nach Arbeit ist wohl die gesellschaftlich anerkannteste Droge, die zur Zeit im Umlauf ist.
Die Sucht nach Arbeit füllt eine innere Leere, die wir spüren. Durch unsere Leistung bekommen wir Anerkennung. Wir fühlen uns bestätigt in unserer Existenz. Was einerseits ein menschliches Grundbedürfnis ist und uns dazu antreibt einen Beitrag zu leisten, trägt auch die Gefahr eines Burnouts mit sich. Und zwar, wenn wir unseren Wert (ausschließlich) anhand unserer Leistung definieren. Denn das kann süchtig machen. Wir arbeiten, bekommen dadurch Anerkennung, positive Hormone werden ausgeschüttet und signalisieren dem Gehirn: mach davon mehr, das fühlt sich gut an.
Sich entspannen heißt auch Platz für Emotionen zu machen.
Darin liegt auch der Schlüssel, warum es für viele High-Performer:innen schwierig ist, sich zu entspannen. Eine Pause von der Arbeit bedeutet eine Pause von der externen Anerkennung, von dem Gefühl ‚ich bin etwas wert’. Das kommt einem Entzug gleich und stellt damit ein emotionales Risiko dar.
Gleichzeitig entsteht ein Raum, wenn wir nicht arbeiten. Ein Raum, in dem Gedanken und Gefühle hochkommen können, denen wir dank voller Terminkalender sonst aus dem Weg gehen. Hat man keine Tools parat, um mit diesen Emotionen umzugehen, fällt man in das Muster, das man kennt. E-Mails werden gecheckt. Termine gebucht. Oder alternativ die Wohnung geputzt, denn wenn alles blitzt und glänzt bekommt am Ende auch gespiegelt: ‘das hast du gut gemacht’.
Work Smart, Rest Well: Entspannen kann man lernen.
Was machen wir also, wenn wir spüren, dass wir mehr Pausen brauchen, es uns aber schwer fällt runterzukommen? Hier sind drei praktische Tipps, wie man lernen kann, zu entspannen.
#1 Perspektivwechsel: Durch Pausen steigt Ihre Performance
Anstatt zu denken, Pausen könne man endlos auf später verschieben oder seien ein Zeichen von Faulheit, ist hier Umdenken angesagt. Regenerationsphasen sind fester Bestandteil jedes Trainingsplans von Spitzensportler:innen. Die Fußball-Ikone Steffi Jones aus der STRIVE Ausgabe im Januar würde da sicher zustimmen. Nach dem Training braucht der Körper Entspannung, um sich zu stärken und Verletzungen vorzubeugen. Genauso geht es unserem Gehirn nach intensiven Arbeitsphasen.
Die Leistungs-Druck-Kurve zeigt außerdem, dass man seine ideale Leistung erreicht, wenn man zwischen seiner Komfort- und Stretchzone wechselt. Ziel ist es nicht, permanent außerhalb der Komfortzone unter hohem bis sehr hohem Druck zu leben. Ein Vergleich aus der Evolution: Das wäre dann so, als wenn wir den ganzen Tag vor einem Tiger auf der Flucht wären. Möchte man also auf Peak-Performance optimieren, geht es nach einer gemeisterten Herausforderung darum den Druck rauszunehmen. In der Komfortzone entspannen, Energie tanken und dann ist man wieder startklar für die nächste Challenge.
COACHING-TIPP: Definieren Sie für sich eine neue Bedeutung für Erholung und Pausen, die Ihnen dabei hilft diese fest in Ihren ‘Peak Performance Plan’ zu integrieren.
#2 Energiequellen: Kennen Sie Ihre individuellen Energiequellen
Netflix, Meditieren, Yoga oder ein Buch lesen. Das fällt wahrscheinlich den meisten ein, wenn sie entspannen hören. Die Frage ist aber nicht, welche Form der Entspannung gerade ‚in’ ist, sondern was einem selbst gut tut.
Um das genauer zu beleuchten, kann man sich folgende Fragen stellen:
Den Alarm auf fünf Minuten setzen und alles aufschreiben, was einfällt. Meine Favoriten sind: inspirierende Gespräche, frisch gepresster Orangensaft, in einem lebhaften Café ein Buch lesen, Massage und HiiT-Workouts. Für mich ganz neu entdeckt habe ich Puzzles. Dabei mal nicht zu denken fällt mir beispielsweise viel leichter als beim Meditieren.
COACHING TIPP: Brainstormen Sie Ihre Energiequellen und planen Sie sich diese täglich (Lieblingstee am Morgen), wöchentlich (zweimal Social Lunch), monatlich (Spa-Date mit mir selbst) in Ihren Kalender ein.
#3 Erfolgsjournal: Feiern Sie Ihre Erfolge
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ein Klassiker unter den deutschen Sprichwörtern. Doch wann haben wir genug gearbeitet? Wann haben wir uns Entspannung ‚verdient’? Bei einer ewig langen To-Do-Liste ist das schwer zu erkennen. Außerdem sprinten wir meist von einem abgearbeiteten Ziel zum nächsten. Was wir dabei oft vergessen: Unsere Meilensteine auf dem Weg zu feiern.
Ein Erfolgstagebuch hilft dabei innezuhalten und uns für unsere Leistung anzuerkennen. Indem wir jeden Abend drei Dinge aufschreiben, auf die wir stolz sind, geben wir unserem inneren Kritiker Kontra und stärken unser Selbstbewusstsein. Unser Gehirn beginnt bereits tagsüber nach Erfolgen zu scannen, damit es abends direkt Antworten parat hat. Wir blicken liebevoller auf uns selbst. So entsteht ein langfristiger Mindset-Shift. Außerdem fällt es uns automatisch leichter abzuschalten und den Laptop zuzuklappen, wenn wir bewusst wahrnehmen, was wir bereits alles geleistet haben.
COACHING TIPP: Schreiben Sie sich für 30 Tage jeden Abend drei Dinge auf, auf die Sie stolz sind. Am Anfang fällt es oft schwerer. Doch jeder Erfolg zählt. Waren Sie nett zum Supermarktpersonal, obwohl Sie schlecht geschlafen haben? Schreiben Sie es auf. Haben Sie eine Kund:innenpräsentation gemeistert? Schreiben Sie es auf. Haben Sie sich bewusst Zeit für Entspannung genommen? Das kommt ab jetzt ganz oben auf die Liste!
Mein größtes Learning als ehemaliger Arbeitsjunkie: Mein Leben kann von außen noch so toll aussehen. Wenn ich mich selbst nicht für meine Leistung anerkenne und mir bewusst Pausen nehme, stellt sich nie das Gefühl der Zufriedenheit ein. Und ist es nicht eigentlich genau das, was wir durch all unsere harte Arbeit erreichen wollen?
Über die Autorin:
Christine Münch ist Self-Leadership-Coach für High-Performer und begleitet vor allem Frauen dabei, sich ein erfülltes (Berufs-)Leben aufzubauen. Zertifiziert von der Tony Robbins & Cloe Madanes Training Academy kombiniert sie erfolgserprobte Coachingansätze mit praktischen Tools, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen. Bevor sie ihr Coaching-Unternehmen gründete, arbeitete sie freiberuflich als Storytellerin für internationale Tech-Startups und CEOs. Auf LinkedIn teilt sie praktische Coaching-Tipps zur Selbstführung.