Kristina Kreisel

vor 14 Tagen

7 Min. Lesedauer

"Das Sterben des Mittelstands ist auch ein Sterben des Wohlstands"

Viele Mittelständler schlagen Alarm: Sie finden keine Nachfolger:innen. Vanessa Weber hat den Betrieb ihres Vaters schon vor mehr als 20 Jahren übernommen. Im STRIVE-Interview spricht sie über ihre Anfänge, den Preis der Nachfolge und das, was sich ändern muss, damit der Mittelstand langfristig überleben kann.

"Das Sterben des Mittelstands ist auch ein Sterben des Wohlstands"
"Es muss möglich sein, ein Unternehmen an Mitarbeitende oder externe Manager:innen zu übertragen, ohne zu verarmen", sagt Vanessa Weber | Foto: Katrin Limes

Deutschland hat ein Nachfolge-Problem: Immer mehr Unternehmer:innen erwägen ihre Betriebe dicht zu machen. Nicht weil die Geschäfte nicht laufen, sondern weil sie keine Menschen finden, die sie weiterführen wollen. Schon bis Ende 2025 trügen sich rund 230.000 Mittelständler mit dem Gedanken, aufgrund fehlender Nachfolge-Lösungen zu schließen, ergab kürzlich eine KfW-Auswertung. Hauptgrund für die Übergaben: das Alter der Geschäftsführenden.

 

So liege das Durchschnittsalter der mittelständischen Unternehmerschaft bei 54 Jahren. Vier von zehn Unternehmer:innen seien sogar 60 Jahre oder älter. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung gilt das nur für rund 30 Prozent. Die demographische Entwicklung schreite bei den Inhabenden im Mittelstand also noch schneller voran, konstatiert die KfW. In den Führungsetagen zeichneten sich massive Lücken ab. Eine, die die Nachfolge im Mittelstand bereits erfolgreich gemeistert hat, ist Vanessa Weber. Die heute 44-Jährige übernahm 2002 das Familienunternehmen ihres Vaters. Mit nur 22 Jahren.

 

STRIVE: Immer mehr Mittelständler:innen stehen vor dem Aus, weil sie keine Nachfolger:innen finden. Warum bist Du gerne Nachfolgerin?

 

Vanessa Weber: Im Vergleich zum Gründen eines Startups hat Nachfolge einen entscheidenen Vorteil: Es sind bereits Strukturen, Mitarbeitende und natürlich Kund:innen da. Auf diese Basis kann man aufbauen – und trotzdem sein eigenes Ding machen. Als Nachfolgerin trete ich erst eimal in Fußstapfen. Doch danach kann ich wie in einem selbst gegründeten Unternehmen eigene Spuren hinterlassen, ohne bei Null anfangen zu müssen.

 

Dein Vorgänger war Dein Vater. War für Dich klar, dass Du ihm in der Firma nachfolgen wirst?

 

Nicht unbedingt. Vor allem habe ich nicht damit gerechnet, dass ich die Firma so früh übernehmen würde. Ich war ja erst 22 Jahre alt, als mein Vater mich im Biergarten unvermittelt fragte, ob ich mir das vorstellen könnte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gesundheitliche Probleme, verbrachte drei Viertel des Jahres in Krankenhäusern. Im ersten Moment war ich perplex. Aber mir war schnell klar, dass ich einspringen und das Unternehmen weiterführen will.

 

Weil Du es als Deine Pflicht erachtet hast? 

 

Ich habe es als meine Verantwortung empfunden und wollte meine Familie nicht hängenlassen. Meine neue Rolle habe ich schnell zu schätzen gelernt. Ich kann mir meinen Tag frei einteilen, selbstbestimmt Entscheidungen treffen. Ich bin gerne meine eigene Chefin.

 

Trotzdem wolltest Du nicht immer Unternehmerin werden.

 

Nein, eigentlich wollte ich etwas Künstlerisches machen. Deswegen habe ich ein Praktikum in einer Werbeagentur gemacht. Als ich dort vor allem Orangenhaut von weiblichen Models retuschieren sollte, war klar, dass das nicht mein Weg ist.

 

Nachfolge klingt bei Dir sehr positiv. Welche Nachteile siehst Du?

 

Mit der Freiheit geht auch der Druck einher, das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich zu führen. Auch bin ich räumlich mehr gebunden, als man denken könnte. Man kann kein Geschäft auf die Ferne führen. Nachfolge ist außerdem eine Entscheidung, die das Privatleben stark beeinflusst. Ich wüsste zum Beispiel nicht, wie ich meine Rolle als Geschäftsführerin mit Kind hätte gewuppt bekommen sollen. Heute geht das sicherlich besser, aber damals gab es kein Homeoffice oder Smartphone.

 

Du führst einen Werkzeughandel, immer noch eine Männerdomäne. In einem Interview hast Du gesagt, Du wurdest oft unterschätzt – was von Vorteil gewesen sei. Inwiefern?

 

Ich versuche immer das Positive zu sehen. Als ich Anfang 20 als Geschäftsführerin zu den ersten Kund:innen kam, haben die natürlich keine junge, blonde Frau erwartet, sondern einen gestandenen Mann im Blaumann. Die Erwartungen an mein Wissen im Werkzeugbereich waren gering, wodurch ich oft einen positiven Überraschungseffekt schaffen konnte. Das war cool! Wenn man unterschätzt wird, ist es viel einfacher, Erwartungen zu übertreffen und zu begeistern. Das habe ich als Chance empfunden.

 

| Foto: Katrin Limes

Andere hätten sich einschüchtern lassen.

 

Wir malen uns im Kopf häufig schlimme Dinge aus, doch die meisten passieren nie. Ich versuche, Overthinking zu vermeiden und Herausforderungen mit Selbstbewusstsein, Mut und auch ein bisschen Pipi-Langstrumpf-Attitude anzugehen. Nach dem Motto: "Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!" Gerade Frauen stehen sich oft selbst im Weg und unterschätzen, was sie können. Dabei haben wir alles, das wir brauchen, um erfolgreich zu sein.

 

Apropos Erfolg: Was braucht der Mittelstand, um weiter erfolgreich sein können?

 

Ein positiveres Bild von Unternehmer:innen würde helfen. In vielen Köpfen ist Unternehmertum immer noch mit dem Zigarre rauchenden Typ im Nadelstreifenanzug verbunden, der vor dem Fließband steht und das herunterfallende Geld einsackt. Das finde ich traurig.

 

Unternehmer:innen schaffen Arbeitsplätze und übernehmen Verantwortung für unsere Volkswirtschaft. Das Sterben des Mittelstands ist auch ein Sterben des Wohlstands. Viele Unternehmer:innen engagieren sich noch dazu gesellschaftlich, wie ich mit meiner Stiftung. Dafür wünsche ich mir mehr Anerkennung.

 

Welche Themen muss die neue Bundesregierung am dringendsten angehen?

 

Es muss einen deutlichen Abbau von Bürokratie geben und Anpassungen beim Erbrecht bzw. bei den Übertragungen von Unternehmen an Menschen aus der freien Wirtschaft. Es muss möglich sein, ein Unternehmen an Mitarbeitende oder externe Manager:innen zu übertragen, ohne zu verarmen. Das gilt insbesondere in einer Zeit, in der sich viele Unternehmen mit der Nachfolge aus dem eigenen Familienkreis schwertun, wie es die Zahlen zeigen.

 

 

Zur Person

Vanessa Weber (44) ist Geschäftsführerin von Werkzeug Weber in Aschaffenburg. Sie führt das Familienunternehmen in vierter Generation und setzt sich öffentlich für modernes Unternehmertum, Innovation und Führung ein. Weber ist darüber hinaus Gründerin der Vanessa Weber Stiftung für Bildung und Nachhaltigkeit und engagiert sich in verschiedenen Gremien nationaler und internationaler Wirtschafts- und Berufsverbände. 2019 zeichnete sie das Bundeswirtschaftsministerium als „Vorbildunternehmerin“ aus.

 

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