Zsuzsanna Eis
vor 14 Tagen
Toxische Scham: Warum sie Deine Entwicklung hemmt
Scham ist das wahrscheinlich lästigste Gefühl der Welt. Oft setzen wir alle Hebel in Bewegung, um Scham zu vermeiden. Dabei ist sie per se keine negative Emotion. Sie kann uns als wertvoller moralischer Kompass dienen und sogar unsere sozialen Bindungen stärken. Häufig führt sie uns nämlich vor Augen, dass unser Verhalten oder unsere Persönlichkeit nicht zu einer Situation oder einer Gruppe passen.
Dann ist Scham gesund. Denn sie signalisiert uns: Wir werden unseren Ansprüchen gerade nicht gerecht oder verletzen gar unsere moralischen Werte. Es gibt aber auch eine „toxische Scham“, die uns langfristig schadet.
Was unterscheidet toxische Scham von gesunder Scham?
Während wir die gesunde und konstruktive Scham in der Regel nur kurzfristig fühlen, ist die toxische Scham tief in unserer mentalen Haltung verwurzelt und für Betroffene ein ständiger Alltagsbegleiter. Sie äußert sich als ein immerwährend nagendes Gefühl von „Ich bin falsch“ oder „Ich bin nicht genug“.
Woran erkenne ich toxische Scham?
Die Wurzeln toxischer Scham liegen nicht selten in der frühen Kindheit, geprägt durch negative Erfahrungen mit Bezugspersonen. Sie kann sich allerdings auch im Laufe des Lebens entwickeln oder verstärken. Wer mit toxischer Scham lebt, fühlt sich häufig unzulänglich und glaubt, keine Liebe oder Unterstützung zu verdienen. Das führt zu großer Angst vor Ablehnung, wenig Selbstvertrauen und ständiger Selbstkritik.
Schauen wir uns ein Beispiel aus meinem Coaching-Alltag an: Trotz Top-Zeugnisse und einer rasanten Karriere fühlte sich eine Klientin immer als Fehlbesetzung. Eigene Kompetenzen sah sie stets auch als bei allen anderen vorhanden, ihre Erfolge wertete sie als glückliche Zufälle ab. Können wir, wie in diesem Beispiel beschrieben, trotz objektiver Erfolge und Qualifikationen unseren Wert nicht fühlen, deutet das auf eine bewusste oder unbewusste toxische Scham hin.
Welche Auswirkungen hat toxische Scham?
Gesunde Scham regt zur Selbstreflexion an. Toxische Scham dagegen wirkt meist als unbewusste „innere Fessel“ und hemmt unsere Entwicklung. Beruflich erleben sich, insbesondere Frauen, in einer übermäßigen Selbstkritik. Starke Selbstzweifel führen zu unsicheren Entscheidungen und einer unklaren Kommunikation. Oft werden eigene Grenzen nicht erkannt und Leistungen aus Angst vor negativer Beurteilung heruntergespielt.
Hohe Begabung in Kombination mit dem Drang nach ständiger Verbesserung kann darüber hinaus zu einer „Insecure Overachiever“-Persönlichkeit führen, die aus nachvollziehbaren Gründen bei Arbeitenden beliebt ist. Persönlich führen dieser Perfektionismus und das Gefühl, nicht zu genügen, auf Dauer oft zu Erschöpfung oder gar in einen Burnout.
Privat kann anhaltende toxische Scham das Eingehen von tiefen Beziehungen verhindern. Forschungen von J.P. Tangney etwa haben gezeigt, dass frühe Erfahrungen oft zu gravierenden Vertrauensproblemen führen. Ein ständiges Gefühl, dass alle gegen einen sind, der Drang, sich immer wieder zu rechtfertigen oder das Zurückziehen anstelle offener Gespräche - all das sind Hinweise auf toxische Scham.
Wie Du mit toxischer Scham umgehen kannst
Die gute Nachricht vorweg: Wer sich hier wiedererkennt und mit toxischer Scham lebt, besitzt ein enormes, bisher ungenutztes Potential.
Folgende Schritte können Dir dann helfen:
- Erkenne und akzeptiere Deine toxische Scham und identifiziere die Auslöser.
- Sei liebevoll zu Dir selbst und akzeptiere, dass die Scham Dir wichtige Signale sendet. Es darf etwas verändert werden, um in Deine volle Kraft zu kommen.
- Lass Deiner Scham etwas Raum und Zeit. Benenne sie vor Freunden oder Dir selbst und frage Dich, welchen Zweck sie erfüllt.
- Erkenne und schütze Dich vor toxischen Einflüssen in Deinem Umfeld und setze klare Grenzen.
- Sei mit Deiner Scham per Du! Sag ihr klar und deutlich, dass Du sie für diesen Moment nicht brauchst und schick sie für einige Stunden in den Urlaub. Sie wird sich über ein wenig Entspannung freuen.
- Ziehe professionelle Unterstützung in Betracht, wenn Deine Scham überwältigend wird.
Indem wir Scham aktiv annehmen, können wir sie als ein Sprungbrett für persönliches, berufliches und sogar kollektives Wachstum nutzen.
Zur Person
Zsuzsanna Eis ist Business Coach und unterstützt weibliche Führungskräfte in ihrer Persönlichkeits- und Potenzialentfaltung. Außerdem ist sie Gründerin des Modelabels Zue Anna.