Josie Bertram

09. April 2024

18 Min. Lesedauer

Wie steht es um die Barrierefreiheit in Deutschland?

Karen Schallert ist Coachin und Mentorin für Menschen mit Behinderung und trägt mit ihrem Unternehmen HandicapUnlimited aktiv zur Schaffung einer inklusiveren Gesellschaft bei. Genau deswegen haben wir sie dieses Jahr auch für den STRIVE Courage Award nominiert! Wir haben mit ihr u. a. darüber gesprochen, was Unternehmen tun können, um eine inklusivere Umgebung für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.

 

Liebe Frau Schallert, Sie sind Coachin und Mentorin für Menschen mit Handicap. Welche Fortschritte haben Sie in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion in deutschen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen erlebt und welche Herausforderungen bestehen weiterhin? 

In den letzten Jahren habe ich in Deutschland viele positive Veränderungen in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion beobachtet, was ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung von Zugänglichkeit und die Einbeziehung aller Menschen widerspiegelt. Es gibt eine verbesserte physische Zugänglichkeit in Gebäuden und im öffentlichen Verkehr, sowie Fortschritte in der digitalen Barrierefreiheit von Websites, zum Beispiel durch Text-zu-Sprache-Software, barrierefreie PDFs und die Anpassung von Websites an die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderungen. Außerdem nehmen Inklusionsinitiativen am Arbeitsplatz zu, die darauf abzielen, Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen und ein inklusiveres Arbeitsumfeld zu schaffen. Deutschland hat Fortschritte gemacht, aber es sind weiterhin Anpassungen an neue Technologien und eine stärkere Sensibilisierung notwendig, um eine vollständig inklusive Gesellschaft zu erreichen.

Wie steht es um die Barrierefreiheit in Deutschland?

Wie können Menschen ohne Behinderungen Ihrer Meinung nach besser dazu beitragen, ein inklusiveres Umfeld zu schaffen?

Menschen ohne Behinderungen können eine entscheidende Rolle dabei spielen, ein inklusiveres Umfeld zu schaffen. Es beginnt mit dem Bewusstsein und der Bereitschaft, sich aktiv einzubringen und Veränderungen zu initiieren. Meiner Meinung nach ist einer der wichtigsten Schritte, sich zu informieren und zu verstehen, welche Barrieren Menschen mit Behinderungen im Alltag begegnen. Dieses Wissen kann uns helfen, empathischer zu werden und die Notwendigkeit von Anpassungen im persönlichen, beruflichen und öffentlichen Raum zu erkennen.

 

Die Förderung von Inklusion liegt nicht nur in großen Gesten, sondern auch in kleinen, alltäglichen Handlungen, wie zum Beispiel inklusiver Kommunikation. Als Verbündete können wir aktiv für die Rechte von Menschen mit Behinderungen eintreten und Barrieren ansprechen. Offene Dialoge und die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in Entscheidungsprozesse sind entscheidend. Letztlich liegt die Kraft, eine inklusivere Gesellschaft zu formen, in daer gemeinsamen Aktion und dem kontinuierlichen Bestreben, Inklusion in jeden Aspekt unseres Lebens zu integrieren. Durch bewusste Anstrengungen, Empathie und das Engagement können wir Schritt für Schritt eine Welt schaffen, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein volles Potenzial zu entfalten und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

 

 

 

Können Sie uns Beispiele für positive Veränderungen oder innovative Lösungen nennen, die Sie in Bezug auf Barrierefreiheit in der Geschäftswelt beobachtet haben?

In den letzten Jahren habe ich positive Veränderungen in der Geschäftswelt bezüglich Barrierefreiheit erlebt. Flexible Arbeitsmodelle, wie flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Optionen, ermöglichen eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Der verstärkte Einsatz von assistiven Technologien, ein barrierefreier Arbeitsplatz und überarbeitete Einstellungspraktiken zeigen Fortschritte. Unternehmen investieren auch in die digitale Zugänglichkeit ihrer Ressourcen gemäß den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) und fördern durch Schulungen und Bewusstseinsbildung eine inklusive Kultur am Arbeitsplatz.

 

Letztlich liegt die Kraft, eine inklusivere Gesellschaft zu formen, in der gemeinsamen Aktion und dem kontinuierlichen Bestreben, Inklusion in jeden Aspekt unseres Lebens zu integrieren.

 

Welche Empfehlungen würden Sie Unternehmen geben, um eine inklusivere Umgebung für Menschen mit Behinderungen zu schaffen?

Um eine inklusivere Umgebung für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, empfehle ich Unternehmen Folgendes:

 

1. Fördert eine offene und akzeptierende Unternehmenskultur durch Schulungen zur Sensibilisierung und Inklusion.

 

2. Macht den Arbeitsplatz physisch zugänglicher, von Rampen bis zur Anpassung von Arbeitsstationen.

 

3. Bietet flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Optionen an, um individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden.

 

4. Überdenkt Rekrutierungsverfahren für mehr Vielfalt und Inklusion. Zum Beispiel, indem Bewerbungsgespräche und Einstellungstests angepasst oder Partnerschaften mit Organisationen eingegangen werden, die sich auf die Vermittlung von Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert haben.

 

5. Gestaltet Kundeninteraktionen und Marketing inklusiv, mit barrierefreien Websites und Kundensupport.

 

6. Führt einen kontinuierlichen Dialog mit Menschen mit Behinderungen, um ihre Bedürfnisse zu verstehen.

 

Durch die Umsetzung dieser Empfehlungen können Unternehmen eine inklusivere Arbeitsumgebung schaffen und die Vielfalt als Stärke für Innovation und Produktivität nutzen.

 

Gibt es bestimmte berufliche Netzwerke oder Organisationen, die Sie Menschen mit Behinderungen empfehlen würden, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen?

Ja, ich habe festgestellt, dass es eine Vielzahl von beruflichen Netzwerken und Organisationen gibt, die Menschen mit Behinderungen dabei unterstützen, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und berufliche Möglichkeiten zu erkunden. Ein Beispiel, das mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist die "Charta der Vielfalt", eine Initiative in Deutschland, die sich für die Förderung von Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz einsetzt.

 

Daneben gibt es aber auch noch spezialisierte Verbände wie der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB), die gezielte Unterstützung und Networking-Möglichkeiten bieten. Online-Plattformen und Foren wie XING, LinkedIn oder Facebook-Gruppen ermöglichen den Austausch und die Vernetzung in speziellen Communities für Menschen mit Behinderungen. Diese Netzwerke haben mir wertvolle Unterstützung, Ressourcen und Erfahrungsaustauschmöglichkeiten im beruflichen Kontext geboten.

 

 

 

Welche Tipps möchten Sie anderen Menschen mit Behinderungen mitgeben, die eine Karriere in Ihrem beruflichen Umfeld anstreben?

Für Menschen mit Behinderungen, die eine Karriere in meinem beruflichen Umfeld anstreben, möchte ich folgende Tipps geben:

 

1. Kenne deine Stärken: Identifiziere deine persönlichen Stärken, Talente und Fähigkeiten. Betone dabei auch die Fähigkeiten, die mit deiner Behinderung in Verbindung stehen. Diese können einzigartige Vorteile und Qualitäten sein, die dich von anderen Bewerbern abheben.

 

2. Suche nach inklusiven Arbeitgebern: Informiere dich über Unternehmen und Organisationen, die sich für Vielfalt und Inklusion engagieren. Suche gezielt nach Arbeitgebern, die barrierefreie Arbeitsplätze bieten und Programme zur Unterstützung von Mitarbeiter:innen mit Behinderungen haben.

 

3. Vernetze dich: Nutze berufliche Netzwerke, Online-Plattformen und Foren, um dich mit anderen Menschen mit Behinderungen auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu erhalten. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann inspirierend sein und neue Möglichkeiten eröffnen.

 

4. Informiere dich über Unterstützungsangebote: Recherchiere nach staatlichen Unterstützungsangeboten, Förderprogrammen und Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen. Diese können dir bei der Jobsuche, der beruflichen Weiterbildung und der Bewältigung spezifischer Herausforderungen helfen.

 

5. Sei selbstbewusst und selbstbestimmt: Glaube an deine Fähigkeiten und stärke dein Selbstbewusstsein. Sei selbstbestimmt und stehe zu deinen Bedürfnissen und Grenzen. Kommuniziere klar und deutlich über deine Fähigkeiten und benötigte Unterstützung, wenn du dich bewirbst oder im Job bist.

 

6. Lerne aus Rückschlägen: Akzeptiere, dass es auf dem Weg zur beruflichen Erfüllung auch Rückschläge geben kann. Nutze diese Erfahrungen als Lernmöglichkeiten und bleibe motiviert, deine Ziele zu verfolgen.

 

7. Sei offen für neue Möglichkeiten: Sei offen für neue Herausforderungen und berufliche Möglichkeiten, auch wenn sie außerhalb deiner Komfortzone liegen. Sei flexibel und bereit, dich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen.

 

8. Suche nach Mentor:innen: Suche nach Menschen oder Unterstützer:innen, die dich auf deinem beruflichen Weg begleiten und dir wertvolle Ratschläge geben können. Mentor:innen können aus dem gleichen beruflichen Umfeld kommen oder selbst Erfahrungen mit Behinderungen haben.

 

Indem du diese Tipps berücksichtigst und dich aktiv für deine beruflichen Ziele einsetzt, kannst du deine Karriereziele erreichen und eine erfüllende berufliche Laufbahn in meinem beruflichen Umfeld verfolgen!

 

 

Über die Person:

Als Geschäftsführerin von HandicapUnlimited setzt sich Karen Schallert aktiv für die Unterstützung von Führungskräften mit Behinderung in ihren beruflichen Anliegen ein. Sie ist außerdem Keynote-Speakerin, Diversity-Trainerin und fördert das Empowerment von Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus ist sie als Vorständin in der Deutschen Gesellschaft für Mentoring tätig und engagiert sich als Mentorin und Personal Coach bei MentorMe sowie dem Hildegardis-Verein.

 

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