STRIVE Redaktion

vor 5 Tagen

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„Den perfekten Moment fürs Gründen gibt's nicht“

What's your Story? | Altersarmut ist weiblich – sagen Denise Haverkamp (26) und Teresa Wirth (26). Deshalb haben die beiden ein Unternehmen gegründet, das Frauen beibringen will, mit Geld umzugehen: finance, baby! Dabei kommen beide aus der Kommunikationsbranche. Wann sie sich getraut haben, zu gründen und wie sie sich im Neuland zurechtfinden, erzählen sie hier.

„Den perfekten Moment fürs Gründen gibt's nicht“
„Den perfekten Moment fürs Gründen gibt's nicht“

Was ist Ihr Job, wie und mit was beeinflussen Sie die Ausrichtung Ihres Unternehmens?

Mit unserer Finanz-Lernplattform finance, baby! verfolgen wir ein großes Ziel: eine Welt, in der Frauen und Männer dieselben finanziellen Chancen haben. Als ich im Frühjahr 2020 zum ersten Mal gemeinsam mit meiner Co-Founderin Tessa Wirth die Idee hatte, einen Safe Space für Frauen rund um das Thema Geld zu schaffen, hatte ich genau einen Gedanken im Kopf: Ich will verhindern, dass sich jemals wieder eine Frau auf dieser Welt so hilflos fühlt, wie ich es lange getan habe. Mir liegt eine Welt am Herzen, in der wir endlich eine Sprache sprechen und Frauen mit ihren Herausforderungen genau da sehen, wo sie passieren. Wir brauchen keine weiteren Lösungen, die die reichen immer reicher und die armen immer ärmer werden lassen. Wir brauchen Bildung für jede:n. Ich gehe diese Mission nicht für meinen persönlichen Reichtum oder meine Karriere, sondern für die Generationen nach uns.

Als Gründerin habe ich die Aufgabe, das Unternehmen aufzubauen und in die richtige Richtung zu treiben - nachhaltig und visionsgetrieben - weshalb ich meinen Job nicht mit einer einzigen Tätigkeit beschreiben kann. Primär kümmere ich mich um die Finanzen unseres Unternehmens, unser Geschäftmodell und um unsere Wachstumsstrategie. Außerdem arbeite ich sehr eng mit unserer Entwicklerin zusammen, die unser Produkt umsetzt.

Was muss eingetreten sein, damit Sie sagen Sie waren erfolgreich?

Tessa und ich spüren Erfolg nicht in den Momenten, in denen wir Dinge erreicht haben sondern in den Momenten, in denen uns unsere Kundinnen spiegeln, dass wir einen Mehrwert in ihr Leben gebracht haben. Erfolg bedeutet für uns, unsere Kundinnen und unsere Mitarbeiterinnen wachsen zu sehen indem sie Dinge tun, die sie ohne unseren kleinen Antrieb niemals angegangen wären. Das ist Erfolg für uns.

„Natürlich wissen wir, dass wir den Schritt zu vollkommener Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht alleine schaffen können.“

Wie gehen Sie mit Dingen um, die Sie nicht gut können?

Als Gründerin lernt man, Dinge einfach anzugehen. Wir haben das große Glück, dass Tessa genau die Dinge perfekt kann, die ich nicht kann – und umgekehrt. So ergänzen wir uns und können alles abdecken, was wir brauchen. Wenn ich eine Sache nicht kann, dann kaufe ich mir ein Buch darüber, frage Menschen, die sich mit dem Thema auskennen oder renne einfach drauf los. Ich habe die Angst davor verloren, Dinge falsch zu machen. Und damit fahre ich bisher ziemlich gut.

Was ist Ihre Vision für Ihr Unternehmen?

Unsere große Vision ist es, dass Frauen und Männer dieselben (finanziellen) Chancen haben. Natürlich wissen wir, dass wir den Schritt zu vollkommener Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht alleine schaffen können und wir dazu noch viele andere Unternehmen, Visionär:innen und Unternehmer:innen brauchen – aber: mit allem, was wir bei finance, baby! tun verfolgen wir genau dieses Ziel und leisten unseren kleinen Beitrag.

Wie würde ihr Team Sie beschreiben?

Tessa und ich arbeiten seit August 2020 gemeinsam an finance, baby! und haben erst vor einigen Wochen unser Team auf fünf Personen vergrößert. Wir beide funktionieren als Gründerinnen-Team mittlerweile wie ein Ehepaar. Wir sind Freundinnen, Geschäftspartnerinnen und gegenseitige Vorbilder in unserem täglichen Doing. Anfangs war es schwierig, so eng mit jemandem zusammenzuarbeiten, da man lernen muss, den anderen voll und ganz zu sehen und zu akzeptieren. Mittlerweile funktioniert unsere Zusammenarbeit ohne Zweifel. Bei neuen Teammitgliedern achten wir stets darauf, dass wir Chancen ermöglichen. Wir möchten keine Arbeitgeberinnen sein, die nur die Top of the Tops einstellen (zumal wir uns das jetzt sowieso nicht leisten könnten) – sondern junge Talente entdecken, die vor allem eines haben: eine unfassbare Neugier auf mehr! Zu sehen wie unsere Teammitglieder täglich an Herausforderungen wachsen und sich persönlich und beruflich weiterentwickeln ist ein enormer Antrieb für unsere Arbeit.

Wann haben Sie das letzte Mal „nein“ gesagt?

Als wir gemerkt haben, dass ein Investor einfach nicht verstanden hat, dass Chancenungleichheit tatsächlich existiert. In einem Gespräch stritt er zudem trotz Studien, Umfragen und handfester Fakten (wir alle wissen, dass diese unübersehbar sind) ab, dass Altersarmut weiblich wäre. Für uns ging es damals um unsere erste Finanzierung. Hätten wir ja gesagt, hätten wir das nötige Geld bekommen um finance, baby! aufzubauen, aber uns verbiegen müssen. Kein Geld der Welt ist es wert, hierzu „ja” zu sagen.

„Finanzen sind so greifbar geworden – ich dachte zuvor immer, dass Zahlen und Geld absolut abstrakt sind.“

Was sind die ersten drei Dinge, die Sie im Büro (oder Home Office) machen?

Kaffee, Kaffee und Kaffee. Um ehrlich zu sein trinken Tessa und ich beide morgens erstmal eine große Tasse – ansonsten geht garnichts. Um 9:15 Uhr starten wir dann mit unserem Daily Huddle und checken erstmal mit dem Team ein. Wir sprechen sehr offen darüber, wie es uns geht und was uns beschäftigt – um dann mit einem klaren Kopf in den Tag zu starten!

Was hat Sie fachlich am meisten erstaunt?

Dass die Dinge oft viel einfacher sind, als gedacht. Wenn man zum ersten Mal davon hört, was beim Gründen alles auf einen zukommt, dann denkt man schnell, dass man das wohl niemals lernen kann. Schritt für Schritt klappt das aber dann doch viel leichter als man denkt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich Freude daran finde, mich mit Technischen Grundlagen, Finanzplänen oder APIs zu beschäftigen – zumal ich von diesen Dingen zuvor noch nie etwas gehört hatte. Auch das Thema persönliche Finanzen, welches wir ja innerhalb der Lernplattform angehen, ist viel einfacher als man denkt. Finanzen sind so greifbar geworden – ich dachte zuvor immer, dass Zahlen und Geld absolut abstrakt sind.

Was war die größte Herausforderung, die Sie dabei überwinden mussten?

Wir haben Anfangs immer unseren aktuellen Standpunkt mit dem großen Zielbild verglichen. Wenn Du siehst, wie weit Dein Weg noch ist, dann wird Dir ziemlich schwindelig. Wir haben lange dafür gebraucht, nicht die gesamte Treppe sondern immer nur die nächste Treppenstufe anzusehen – Schritt für Schritt. Das war schwer, aber elementar für unsere mentale Gesundheit. Dazu verstehen Außenstehende natürlich nicht, was es für ein großer Druck ist, der da auf einem lastet. Man steckt sein ganzes Herz in eine Idee, von der noch nicht einmal klar ist, ob sie tatsächlich Gestalt annehmen wird. Nicht enttäuscht zu sein und zu akzeptieren, dass man kein Verständnis von Familie und Freunden erwarten kann, insofern diese nicht unternehmerisch tätig sind, war eine große Herausforderung. Am Ende ist alles eine Sache Deines persönlichen Energiemanagements.

Was hat Sie auf Ihrem Weg bislang immer weitergebracht?

Der Mut, klare Entscheidungen zu treffen – und dabei auf mein Bauchgefühl zu hören! Immer, wenn ich zwischen Entscheidungen stehe, dann geht es mir nicht gut. Ich denke, dass Menschen per se nicht für Ungewissheit gemacht sind. Das einzige, was Dich in einer chaotischen Situation weiterbringt, ist eine klare Entscheidung. Dabei haben wir uns geschworen, immer auf unser Bauchgefühl zu hören. Wenn sich eine Sache falsch anfühlt, dann machen wir sie nicht - ganz egal, wie verlockend die Möglichkeit sich auf dem Papier anhört.

„Irgendwann habe ich dann angefangen, mich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was uns einzigartig macht und diese Angst ist verschwunden.“

Was hat Sie immer behindert?

Sowohl im Business als auch im persönlichen Bereich gibt es eigentlich nur eine Sache, die mir im Weg steht: Angst. Irgendwann habe ich mal gelesen, dass wir immer hinterfragen sollten, ob wir Entscheidungen aus Angst oder aus Liebe treffen. Wenn wir merken, dass Angst (und diese kann sich in Zweifeln, Wut, Gier) unser Treiber ist, dann müssen wir aktiv dagegen ankämpfen. Gerade wenn ich mit den Produkten und Visionen unserer Wettbewerber:innen konfrontiert war, geriet ich anfangs sehr schnell ins Schwanken. Ich wollte plötzlich ganz panisch auch große VCs an Bord haben, Banking-Apps bauen – bis ich begriffen habe, dass ich einfach nur Angst davor hatte, nicht gut genug zu sein. Irgendwann habe ich dann angefangen, mich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was uns einzigartig macht und diese Angst ist verschwunden. Ab und an kommt sie zurück und ich merke jedes Mal, wie hinderlich das für mich persönlich und auch für unsere Entscheidungen im Business ist. Ich denke, das ist menschlich.

Was werten Sie als Ihren größten Erfolg?

Tessas und meine persönliche und unternehmerische Entwicklung auf dieser Reise. Wenn ich mich pre-finance, baby! anschaue dann war ich – klar, jünger und unerfahrener als jetzt – aber auch einfach unsicher. Auf dieser Reise haben wir immer mehr über uns herausgefunden – wer wir sind, wer wir sein wollen, welche Werte wir leben und weitergeben wollen. Und vor allem, zu was wir eigentlich fähig sind. Das ist ein ziemlich großer Erfolg für mich. Ganz unabhängig von allem, was wir business-seitig geschaffen haben.

Was als Ihren größten Misserfolg?

Um ehrlich zu sein, fällt mir nichts ein. Ich weiß nicht mal, ob ich es als Misserfolg ansehen würde, wenn mein Unternehmen insolvent gehen würde. Wenn Du auf dem Weg bis dahin alles gegeben und viel Neues dazu gelernt hast, dann kann es doch gar kein Misserfolg sein, oder?

„Wenn mir Fragen wirklich auf der Seele brennen, gehe ich mit ihnen zu meiner Oma.“

Was war der größte Fehler, den Sie während Ihrer Karriere gemacht haben (und welches Learning ziehen Sie daraus)?

Dass ich mich nicht von Anfang an getraut habe, eigene Entscheidungen zu treffen. Wenn man jung ist und frisch startet, dann hört man in alle Richtungen zu und ist hin- und hergerissen. „Was die anderen, großen, erfolgreichen und selbstbewussten Männer sagen – das muss stimmen!”, habe ich immer gedacht. Tessa war da von Anfang an ein Ruhepol und hat sich nicht so leicht durcheinanderbringen lassen. Irgendwann haben wir dann gelernt, dass wir unser Unternehmen am Besten kennen und unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Auch, wenn andere guten Input liefern können bedeutet das nicht, dass sie alles besser wissen. Ich hätte mir früher zutrauen sollen, dass ich einen guten Geschäftssinn habe.

Was ist der beste Tipp, den Sie je bekommen haben?

Der Tipp, den wir immer wieder an alle mitgeben: start before you’re ready. Den perfekten Moment gibt es nicht und Du wirst Dich auch niemals vollkommen bereit für etwas fühlen. Du musst starten und den ersten Schritt gehen - denn auch wenn Du denkst, dass Du nicht bereit bist: Du bist es immer.

Welches Buch hatte am meisten Einfluss auf Ihre Karriere

Definitiv Measure what matters und Five Love Languages. Letzteres klingt etwas seltsam, aber das Verständnis für die Sprache der jeweils anderen hat die Zusammenarbeit von Tessa und mir nachhaltig extrem bereichert.

Wer ist Ihr Vorbild?

Mich beeindruckt Christine Caine unheimlich. Sie ist Gründerin der Menschenrechtsorganisation A21 und setzt sich dafür ein, Menschenhandel im 21 Jahrhundert abzuschaffen. Business-technisch bin ich ein ziemliches Fangirl von SimpleClub - was die Jungs da schaffen ist verdammt gut und dient als ein klares Vorbild für unser Produkt im Education-Bereich. Wenn ich jetzt noch ganz sentimental werde, dann muss ich an dieser Stelle auch meine Oma nennen. Sie hat mit meinem Opa vor vielen Jahren ein Textilunternehmen aufgebaut und gleichzeitig drei Jungs großgezogen. Sie war Unternehmerin, hat einen sehr guten Geschäftssinn und ist verdammt schlau - wenn mir Fragen wirklich auf der Seele brennen, dann gehe ich damit zu ihr.

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